Verlust erleben – wie Kinder trauern

Der Tod eines Angehörigen löst Gefühle der Ohnmacht und Überforderung, einen Schock und schließlich Trauer aus. Wie gehen Erwachsene und Kinder verschiedener Altersstufen damit um, und wie können pädagogische Fachkräfte Kinder auf diesem Weg begleiten?

In der Kita »Hasenburg« klingelt am Morgen das Telefon. Für die Kindheitspädagogin Maria scheint die Welt einen Moment lang still zu stehen. Am anderen Ende ist Elsas Mutter und teilt mit zitternder Stimme mit, dass ihr Ehemann und der Vater von Elsa in der Nacht an einer schweren Erkrankung verstorben ist. Die fünfjährige Elsa wird für ein paar Tage bei ihrer Oma sein und die Kita nicht besuchen.

Solche Nachrichten schlagen meist ein wie ein Blitz, unabhängig davon, ob sich der Tod eines Menschen durch eine Krankheit angekündigt hat oder sehr plötzlich kommt. Das Thema Tod wird auch im Erwachsenenalter oft tabuisiert, die dazugehörigen Gefühle bleiben verschlossen. Dabei wissen wir alle, dass der Tod uns selbst und geliebte Menschen eines Tages heimsucht. Die Geburt eines Menschen kündigt sein Leben an, welches wir uns lang, erfüllt und glücklich wünschen. Es kündigt aber auch den Tod an, das ist so gewiss wie der Sonnenaufgang am Morgen und der Sonnenuntergang am Abend. 

Kinder und Erwachsene nehmen den Tod verschieden wahr

Heutzutage sterben circa 80 % der Menschen in Heimen oder Krankenhäusern – anders als früher, als der Tod häufig zu Hause im Kreis der Familie eintrat. In unserer Kultur kommen Kinder mit dieser Lebenserfahrung seltener in Kontakt. In den Trauerprozess und dem Abschied werden sie kaum einbezogen. In dem Kinderbuch »Der alte Mann und der Bär« heißt es: »Reden, immer wieder reden, darüber reden, so übst Du ein wenig das Sterben.«

Kinder machen sich im Laufe der Jahre ein Bild vom Tod und vom Sterben, abhängig von ihren Erfahrungen, dem Erlebten und ihren Möglichkeiten der Verarbeitung. Das Verständnis von Sterben und Tod ist zudem stark abhängig vom Alter und dem Reifungsprozess des Kindes.

Erwachsene haben ein sachliches Verständnis vom Tod. Sie verstehen, dass die lebensnotwendigen Funktionen des Körpers aufhören zu arbeiten und dass diese Tatsache sich nicht mehr verändern lässt. 

Kinder hingegen begreifen den Tod erst im Laufe ihrer Entwicklung. So individuell und einzigartig Kinder sind, so verschieden sind auch ihre Vorstellungen vom Tod. Die Entwicklung des kindlichen Todeskonzeptes hängt zum einen von ihrem Alter, aber auch von Kultur, Religion und sozialem Umfeld ab. 

Für Kinder unter drei Jahren bedeutet der Tod einfach, dass jemand nicht da ist. Wo und wie lange diese Person weg ist, lässt sich kognitiv nicht erfassen. Sie reagieren auf die erlebten Veränderungen aber manchmal mit veränderten Schlaf- oder Essgewohnheiten oder auch Gefühlen wie Wut, Angst und Frustration. Sie nehmen die Trauer und Verstörung der anderen Angehörigen wahr. Kleine Kinder trösten sich eventuell mit Gedanken wie: »Papa kommt gleich wieder, er ist nur arbeiten«, und beginnen ihn zu suchen. 

Auch im Alter von drei bis sechs Jahren sehen Kinder den Tod oft noch als reversibel an und stellen sich vor, dass Tote durch bestimmte Handlungen wieder lebendig werden. Sie können zum Teil noch nicht begreifen, dass mit dem Tod alle Lebensfunktionen erlöschen, und fragen sich, wann jemand endlich »fertig ist mit dem Sterben und zurückkommt«. Die Phantasien der Kinder in diesem Alter haben oft etwas Mystisches oder Magisches, so sagt die vierjährige Carla: »Mama, Opa ist immer da, du siehst ihn vielleicht nicht, aber er ist da!« In diesem Alter beginnen Kinder auch häufiger mit den Toten zu sprechen und bauen sie in ihr Spiel ein. Dieser Umgang wird aber auch von der Reaktion der Erwachsenen beeinflusst. Erleben sie das Thema Tod als Tabu oder Auslöser von Traurigkeit und Schmerz, meiden sie es.

Bevor Kinder die Totalität des Todes begreifen, nehmen sie oft an, dass nur bestimmte Lebewesen sterben können, nicht aber sie selbst, die Familie oder beispielsweise ihre ErzieherIn. 

Schulkinder im Alter von sechs bis neun Jahren erfahren einen kognitiven Entwicklungsfortschritt, der es ihnen ermöglicht, Objekte in sinnvolle Zusammenhänge zu setzen. Schrittweise wird ihnen die Endgültigkeit bewusster, aber ihr Bild vom Tod ist oft noch phantasievoll. Christine Fleck-Bohaumilitzky führt aus, dass sie ihn sich häufig als Engel, Skelett oder gar unsichtbaren Geist vorstellen. Auch diese Vorstellungen sind vom Glauben der Eltern und Angehörigen geprägt. Grundsätzlich interessieren sich Kinder in dieser Entwicklungsstufe für das Thema Tod und sind auf Erwachsene angewiesen, die ihnen mögliche Fragen beantworten, statt sie völlig ihrer Phantasien zu überlassen. In jedem Fall machen sie sich ihre Gedanken und finden eigene Erklärungen. Lassen wir ihnen Raum, dann teilen sie uns diese auch offen mit, so der neunjährige Mateo: »Wenn ein Baby geboren wird, stirbt ein Mensch und wenn zu wenig Platz ist, dann sterben auch mal Babys.« 

Sind Kinder ungefähr zehn Jahre alt, löst sich nach der Entwicklungstheorie von Piaget das »kindliche Denken allmählich von der konkreten Erfahrung.« Dadurch » wird es für Kinder nun auch möglich, sich Situationen vor ihrem inneren Auge auszumalen und verschiedene Möglichkeiten von bestimmten Gegebenheiten geistig durchzuspielen.«  Das bedeutet, dass Kinder auch Prozesse wie Krankheiten besser verstehen und durchdenken können, ohne diese direkt zu beobachten. Sie verstehen langsam die Konsequenzen für sich selbst und das Umfeld, die ein Tod mit sich bringt. Häufig treten auch Fragen wie nach dem Sinn des Lebens oder dem Leben nach dem Tod auf. Ein schwerer Verlust kann bei Kindern und Jugendlichen somatische Störungen verursachen.

Wie Erwachsene mit dem Tod umgehen, prägt die Kinder

Kinder spüren und erleben unsere Gefühle und sehen unseren Umgang mit dem Tod. Erwachsene fühlen sich oft befangen und sind verunsichert, wie sie mit dem Kind über den Tod sprechen sollen. Kinder benötigen Informationen und sie haben ein Recht, kindgerecht einbezogen zu werden. Das ist nicht immer leicht, besonders wenn wir selbst mit unserer Trauer beschäftigt sind und die Kinder vor Schmerzen schützen wollen. Drücken sich Erwachsene aber zu metaphorisch aus, so können die Phantasien der Kinder andere ungewollte Ängste wachsen lassen. Es gibt aber zahlreiche Möglichkeiten, die Kinder in den Prozess des Abschieds und des Sterbens einzubeziehen. Für viele ist es eine hilfreiche und schöne Vorstellung, dass die Verstorbenen in unseren Gedanken weiterleben. Die Traurigkeit und der Verlust gehören zum Leben wie die Freude und die Geburt eines Menschen. Auch wenn wir die bunten Seiten des Lebens bevorzugen, so können wir uns nicht vor der anderen schützen oder gar verstecken. Es ist wichtig zu akzeptieren, dass jeder anders mit seiner Trauer umgeht und dass ein gegenseitiges Halten und Trösten die Schmerzen lindert, aber nicht aufheben kann.

Kinder in ihrer Trauer begleiten

Menschen – Erwachsene wie Kinder – trauern grundsätzlich sehr unterschiedlich. Es ist aber möglich, Parallelen im Hinblick auf das kindliche wie auch erwachsene Trauerverhalten, den Trauerprozess und den Ausdruck der Trauer zu finden. In der Fachliteratur herrscht allerdings noch Uneinigkeit, ab wann ein Kind zur Trauer fähig ist. John Bowlby vertritt die Auffassung, dass Kinder schon ab sechs Monaten in der Lage sind, Trauer als seelischen Schmerz, der sich im ganzen Körper ausbreitet,   zu empfinden. Andere sind der Ansicht, dass dies erst zwischen dreieinhalb und vier Jahren möglich wird. Generell durchlaufen Kinder wie auch Erwachsene die Phasen der Trauer in gleicher Form. 

Besonders kleine Kinder unter drei Jahren haben ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit, welches durch die Trauer bedroht werden kann. Entwicklungsgemäß fällt es ihnen noch schwer, ihre Gefühle auszudrücken bzw. zu benennen. Für sie ist es sehr wichtig, Trost durch Nähe und Umarmungen erfahren zu können. Auch Rituale und Gewohnheiten geben dem Kind Halt und es empfiehlt sich, die Umgebung, also beispielsweise das Zimmer des verstorbenen Geschwisterkindes vorerst nicht zu verändern. In diesem Alter vermuten Kinder, dass hinter der Abwesenheit ein Urlaub o. ä. steht. Das Kind ist auf eine ernsthafte und einfühlsame Antwort angewiesen, auch wenn dies in der eigenen Trauer sehr schwer ist. Auch bei älteren Kindern ist es wichtig, offen und klar mit ihnen zu sprechen und sie in den Prozess des Abschiedes einzubeziehen. Ihre Ideen sind erfahrungsgemäß wertvoll und magisch. Möchten sie vielleicht ein Abschiedsbrief schreiben, die Urne bemalen, den Lieblingskuchen für den Verstorbenen backen oder ein Lied oder Gedicht verfassen? 

Es ist wichtig, sich die Frage zu stellen, wie der Abschied zelebriert werden soll und in welcher Weise die Kinder teilhaben können. Soll dies ganz ruhig und klassisch schwarz sein? Oder darf das Leben des Verstorbenen gar gefeiert werden? Vielleicht dürfen die Kinder bunte Luftballons steigen lassen? Als der Opa der vierjährigen Lucia mit ihr über seinen nahen Tod sprach, wünschte er sich zu seiner Bestattung auch ein Kinderlied, damit sich seine Enkel nicht langweilen. Solche Äußerungen machen es leichter, den Tag im Sinne der Verstorbenen zu planen. Häufig möchten wir es ihnen einfach nur recht machen und ihre letzten Wünsche erfüllen, insofern sie bekannt sind. Aber auch, wenn die Feier auf einem Friedhof stattfindet, können mit Kindern Rituale initiiert werden. Die Offenheit gibt den Kindern die Freiheit, ihre Gefühle zu äußern und sich vom Verstorbenen zu verabschieden. Ihr Umgang damit kann auch uns Erwachsene unterstützen.

 Ältere Kinder (ab sechs) haben manchmal mit Schuldgefühlen zu kämpfen. Diese sollten sensibel thematisiert werden. Passende Literatur, wie »Mein Geheimnis« von Gundula Göbel, kann hierbei unterstützend wirken und Gesprächsanlässe anbieten. 

Kinder und Jugendliche über zehn Jahren ziehen sich in manchen Phasen der Trauer gern zurück. »Man sollte ihnen keine Gespräche aufzwingen, aber bei geäußertem Gesprächsbedarf sofort auf sie eingehen.« Es ist nicht ungewöhnlich, wenn sie »unpassenden Aktivitäten« wie einem Diskobesuch nachgehen möchten, das gibt ihnen Halt. Die Wunden brauchen Luft zum Atmen und sie werden von Zeit zu Zeit immer mal wieder besonders weh tun. Das ist normal. Decken wir sie mit einem Pflaster ab und hoffen, sie werden durch Tabuisierung schneller heilen, so täuschen wir uns. 

Umgang mit Trauer in der Kita

Erinnern wir uns an das Eingangsbeispiel, als die Pädagogin Maria erfährt, dass der Vater der kleinen Elsa verstorben ist. Maria ist vielleicht im ersten Moment verunsichert und natürlich betroffen. Falls der Umgang mit Todesfällen in der pädagogischen Arbeit noch nicht thematisiert wurde, ist eine Auseinandersetzung im Team ratsam. 

Mögliche Fragen im Team könnten sein:

  • Wie sprechen wir über den Tod? 

  • Was löst dieser in uns aus? Welche Erfahrungen habe ich mit Verlust gemacht?

  • Was wissen wir über kindliche Trauer und Trauerprozesse?

  • Welches Todeskonzept vertreten wir?

  • Wie möchten wir das Thema Tod/Sterben im pädagogischen Alltag einbinden und thematisieren?

  • Welche Regeln und welchen Umgang möchten wir leben?

  • Wie können wir die Familie begleiten?

  • Im Falle von Fragen oder Unsicherheiten: Welche Unterstützungen/Beratungsstellen stehen der Einrichtung zur Verfügung?

Für Kinder ist es in jedem Fall einfacher, wenn sie in den Trauerprozess aktiv einbezogen werden. Eine Ausgrenzung oder Isolation, welche häufig aus dem Wunsch entsteht, das Kind zu schützen, stellt für das Kind eine größere Bedrohung dar als die Teilhabe.

Wichtig beim Umgang mit Trauer ist:

  • Trauer ist ein Gefühl, welches sich in sehr unterschiedlicher Form ausdrückt und gezeigt werden darf.

  • Die Kinder dürfen in ihrer Trauer sowohl laut wie auch leise sein. Wut, Zorn, aber auch Schweigen und Rückzug werden von den Erwachsenen akzeptiert.

  • Die Fragen der Kinder sind willkommen, die Erwachsenen versuchen, ihrem Recht auf kindgerechte Erläuterungen nachzukommen.

  • Kinder leben im Moment, daher dürfen sie auch lachen und fröhlich sein.

  • Ein Kind trägt keine Schuld am Tod.

  • Kinder haben das Recht auf einen Abschied vom Verstorbenen, um den Verlust zu „begreifen“. 

Den Abschied gestalten

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, sich durch Rituale zu verabschieden oder auch die Erinnerung an den Verstorbenen aufrecht zu erhalten und ihm/ihr einen zeitlosen Platz einzuräumen:

  • Es können Puppen für das Rollenspiel oder auch zum Kuscheln angefertigt werden. Hierfür kann auch die Kleidung des Verstorbenen genutzt werden.

  • Vielfältige Literatur nähert sich dem Thema altersentsprechend und bietet Raum zum Austausch. Kinder erfahren, dass der Tod etwas Natürliches ist und allen Lebewesen eines Tages bevorsteht. (Eine Literaturliste finden Sie auf dem Blog www.kindheiterleben.de.)

  • Kinder in die Beerdigung einzubeziehen, kann für alle unglaublich bereichernd sein. Die Frage danach, wie sie sich die „Feier“ für den Verstorbenen vorstellen, birgt Überraschungen. Vielleicht möchten über Luftballons einen Wunsch in den Himmel senden, eine Blume oder einen Baum pflanzen und diesen pflegen, eine Torte malen oder backen, einen Rahmen für das aufzustellende Bild des Verstorbenen bemalen oder ihm/ihr etwas Persönliches mit auf den Weg geben? 

  • Ein Fotoalbum könnte mit oder für das Kind gestaltet werden, um Erinnerungen aufrecht zu erhalten und Gesprächsanlässe zu bieten.

  • Es kann auch befreiend sein, Dinge zu tun oder zu essen, die der Verstorbene mochte.

  • Die Ideen der Kinder sind hier kreativ, wenn wir ihnen den Raum dafür lassen und die Möglichkeit, ihren eigenen Umgang mit dem Tod zu entwickeln. Wenn dieser schwarz, aber auch bunt und lebendig sein darf, so nehmen wir den Kindern etwas von ihrer Angst. Es ist ein Geschenk, wenn der Verstorbene in unseren Gedanken und unserem Herzen weiterleben darf.

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Kindliche Wut verstehen und begleiten – wie wir in Konflikten in guter Beziehung sein können

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Wenn zwei sich streiten... Konflikte zwischen Kindern achtsam begleiten